Bei der Überleitung der Bewegungssensoren in die Produktion in Ermsleben hatte ich als Leiter Forschung und Entwicklung, Automatisierung und Prüftechnik zur Firmenleitung und zur Entwicklungsabteilung in Rheda-Wiedenbrück engen Kontakt. Als Herr Steinel erfuhr, dass ich im September 1991 aus der TONFUNK GmbH ausscheide und in Rente gehe, bot er mir einen Honorarvertrag als beratender Ingenieur an mit der Aufgabe, in dem Leipziger Werk die Abteilung SMD-Bestückung aufzubauen, d.h. die Automaten-Investition vorzubereiten und zu überwachen, das Bedienungspersonal zu schulen, die Konstruktionsrichtlinien mit der Entwicklungsabteilung abzustimmen und die Qualitätsentwicklung zu sichern.

Ich nahm das Angebot bei voraussichtlich 20 Wochenstunden Arbeitszeit, passablem Honorar und Spesenübernahme an. 

Ich füge diese Seite, obwohl geschehen nach der Wendezeit, in meine Homepage als Ausnahme ein, weil sie zeigt, dass ich hier eine Ingenieuraufgabe unter wesentlich besseren Rahmenbedingungen als zu DDR-Zeiten durchführen konnte. 

                        

 STEINEL-Geschäftsführer Burkhard Steffen und Betriebsleiter Mölkau Gerd Kenneke vor dem neuen Firmeneingang.

                                                                                                                         (Werksfoto)

                                            Ablauf und Ergebnis meiner Arbeitsaufgabe:

Ich brachte also im Oktober 1991 zunächst zwei Wochen in der STEINEL-Firmenzentrale in Herzebrock-Clarholz zu, um mir Angebote und eigene Eindrücke von der Tauglichkeit der in Frage kommenden SMD-Bestückungsautomaten von auf dem Weltmarkt führenden Herstellern zu beschaffen. Ich verhandelte mit Siemens und besichtigte einen Betrieb mit Siemens-Automaten in Hannover, fuhr mit einem Philips-Vertreter von Hamburg nach Eindhoven(NL) in die Philips-Entwicklungsstelle, wo mir die neuesten Automaten-Entwicklungen vorgestellt wurden, und fuhr zur Vertretung der USA-Fa. UNIVERSAL nach Vilbel bei Frankfurt/M. Von der englischen Fa. DYNAPERT hatte ich ja bereits Kenntnis durch die Anlagen in Ermsleben. Von Herrn Steinel wurde mir als Ziel die Bestückungsleistung von 300 000 SMD-Bauelementen pro Tag (dreischichtig) vorgegeben. So konnte ich in kurzer Zeit den Vergleich dieser 4 Lieferfirmen hinsichtlich Bestückungsleistung, Investitionsaufwand, Produktionsflächenbedarf, Lieferfähigkeit, Reparaturanfälligkeit usw. erarbeiten. Das beste Preis-/Leistungsverhältnis ergab sich für Philips, so dass im November die Verträge abgeschlossen wurden. Herr Steinel erwartete von mir (scherzhaft ?), dass einen Monat später zu Weihnachten die Produktion läuft. Das war zwar nicht möglich, aber im Januar 1992 war es so weit.

 

Seitens Philips erfolgte entsprechend der vereinbarten ersten Investitionsetappe im Januar 1992 die Lieferung und Inbetriebnahme der 1. Bestückungslinie  aus zwei Automaten des Typs CSM84 mit der entsprechenden Magazin-Zuführeinheit, seitens der Fa. Schneider wurde der Reflow-Durchlauf-Lötofen geliefert und auch der erste Siebdruck-Halbautomat für den Lotpasten-Aufdruck stand pünktlich zum Produktionsanlauf zur Verfügung. Die Aufstellung der Linie musste zunächst noch provisorisch in dem in Sanierung befindlichen Vordergebäude stattfinden, wo leider viel Baustaub auftrat. Ich nutzte die vorhergehenden Wochen zur Schulung des Personals in SMD-Bauelementekunde, automatengerechter Leiterplatten-Konstruktion, Lotpastendruck, Chipkleberauftrag, Reflowlöten, Kleberaushärten , Reparatur-Lötverfahren, Qualtätsrichtlinien usw. Bei der Fa.Schneider (dem Hersteller der Reflow-Lötöfen), die mit den gleichen Philips-Automaten produzierte, wurde das Bedienungspersonal  in die Automatenbedienung eingeführt.

 

 

Die SMD-Bestückung erfolgte mit den beiden in Reihe geschalteten Automaten, jeder etwa zur Hälfte des leiterplattenspezifischen Bauelemente-Sortiments, das sich in Blistergurten zu 1000 bis 10000 BE befindet. Jeder Automat hat 3 Bestückungsköpfe, die kurz hintereinander je ein SMD-Bauelement aus dem im Programm vorbestimmten Gurt ansaugen und am programmierten Ort auf die Leiterplatte aufsetzen, wo es auf der Lotpaste kleben bleibt. Die Bestückungsleistung der Linie liegt im theoretischen Idealfall bei 12000 BE/h, in der Praxis je nach Leiterplattenausführung bei 7500 BE/h.

      

Vor dem Bestücken muss die Lotpaste auf die Lötstellen der Leiterplatte aufgetragen werden. Hierzu werden Siebdruck-Halbautomaten eingesetzt. In das Sieb ist eine leiterplatten-spezifische Metallschablone von 0,2 mm Dicke eingeklebt, durch deren Öffnungen die (vorher mit einem Spachtel aufgetragene) Lotpaste von einem darüberstreichenden Rakel auf die Leiterplatte gedruckt wird. Dazu gehört viel Erfahrung, denn von einem fehlerfreien Druck hängen später "kalte" Lötstellen ab. Die LP werden dann in Kassetten-Magazine geschoben, die der automatischen Zuführung in die SMD-Bestückungsautomaten dienen. 

Aus den Magazinen werden die LP durch die Zuführeinheit im Takt auf das Förderband gehoben, das die ganze Linie durchläuft. Wie im Vordergrund zu sehen, werden kleine LP als Mehrfach-Nutzen-LP produziert (hier 6), was die Bestückungsleistung erhöht.

 

Hinter den Bestückungsautomaten wird auf dem Förderband eine Kontrolle auf Vollständigkeit und präzise Position der Bauelemente durchgeführt. Hier besteht noch die Möglichkeit,  ein fehlendes BE nachzusetzen.

Danach durchlaufen die Leiterplatten den Reflow-Lötofen, in dem in 5 Heizzonen ein vorgewählter, elektronisch genau geregelter Temperaturverlauf herrscht. Damit wird die an den Lötstellen vorhandene Lotpaste aufgeschmolzen und eine möglichst optimale Lötverbindung zwischen dem Kupferfeld auf der Leiterplatte und der Anschluß-Metallisierung des SMD-Bauelements hergestellt.

 

                                                                                                      Foto: Hellmuth

In dem 1.Automat der Linie ist einer der drei Bestückungsköpfe durch einen Klebekopf ersetzt. Damit besteht die Möglichkeit, SMD-BE auf die LP aufzukleben, wenn diese nicht reflowgelötet werden sollen, sondern noch zusammen mit herkömmlich durchgesteckten BE später schwallgelötet werden sollen. Der Reflow-Lötofen in der Linie dient dann zum Aushärten des speziellen Epoxydharz-Klebers.

 

Am Ausgang des Ofens, am Ende des Förderbandes, erfolgt eine Lötstellenkontrolle unter der Leuchtlupe. Fehlstellen werden nachgelötet.

Bei engen Lötstellen, wie z.B. an SMD-Schaltkreisen, ist im Zweifelsfall eine Kontrolle unter dem Stereo-Mikroskop erforderlich. Für solche Fälle, insbesondere das Auslöten ganzer Schaltkreise, sind Spezial-Lötkolben (rechts) erforderlich, um das Abheben von Leiterzügen zu verhindern. Man sieht also, was ich alles noch für Zubehör beschaffen mußte.

 

In den folgenden Monaten arbeitete ich normalerweise Montag bis Mittwoch ganztags mit Übernachtung in Leipzig.

Es galt nun, die 2.Investitionsetappe und den Umzug in die neue Produktionshalle im frisch sanierten Gebäude vorzubereiten. Dabei hatte ich auch die Aufgabe, den Schutz der elektronischen Bauelemente gegen elektrostatische Aufladungen entsprechend den DIN-Vorschriften zu realisieren. Das begann mit der Verwirklichung eines leitfähigen, geerdeten Fußbodens, Beschaffung geerdeter Metallregale zur Lagerung der Bauelemente, leitfähiger Schuhe und Arbeitskittel für das Personal in den benötigten individuellen Größen u.a.m.

                                                                                                       Foto: Hellmuth

Als Erstes erfolgte der Umzug der vorhandenen Bestückungslinie an die Rückseite der neuen Produktionshalle:

             

Im 2.Quartal 1992 erfolgte dann seitens Philips die Lieferung der 2. Vertragseinheit.

Die 2. SMD-Bestückungslinie ist mit einem Philips-Doppelautomaten CSM 168 bestückt.

In der neuen Produktionshalle haben sich die Platz- und Arbeitsbedingungen wesentlich verbessert. Noch müssen die Lötstellen hinter dem Reflow-Lötofen visuell mit Lupe und ggf. Stereo-Mikroskop überprüft werden, praktisch überfordert das das menschlische Auge. Ich bin daher internationalen Spitzentechnologien zur automatischen elektronenoptischen Lötstellen-Kontrolle (Japan, USA) auf der Spur. 

Die 3. Investitionsetappe begann im 3.Quartal 1992 mit der Lieferung von 2 Automaten CSM 66 und dem Zubehör. Mit der Inbetriebnahme der 3.Linie sollte nun die im Vertrag mit Philips zugesicherte Bestückungsleistung erreicht werden. Umfangreiche gemeinsame Tests ergaben jedoch bei dem vorhandenen Leiterplattensortiment eine geringe Untererfüllung. Philips lieferte daher zur Vertragserfüllung einen weiteren Automaten CSM 66, der in die 3. Linie eingefügt wurde. Damit wurde die geplante Bestückungskapazität von 300000 BE pro Tag (dreischichtig) übererfüllt.

Für die 3 Bestückungslinien standen nun auch für den Lotpastendruck 3 Siebdruck-Halbautomaten zur Verfügung (dazu wurde im Betriebsmittelbau ein von mir konstruierter Tisch und die Abzugshaube hergestellt).

Nun konnte auch die Rohranlage der bisher noch provisorischen Be- und Entlüftunsanlage mit den Abzügen der 3 Reflow-Lötöfen fertiggestellt werden.

Hier erarbeite ich das Bestückungs-Steuerungsprogramm für eine neue Leiterplatte.

Das erfordert viel Erfahrung, die ich an die Technologen und Abteilungsleiter weitergeben musste. Die BE-Positionen konnten auch mit Hilfe eines Scanner-Tableaus (sogen. Digitizer)einprogrammiert werden. Der Technische Direktor, Herr Dr.Rittighausen und ich strebten jedoch die Übernahme der Koordinaten aus dem Konstruktionsprogramm der Entwicklungsabteilung an.

Nachdem die Produktion stabil lief, war die mir vorgegebene Aufgabenstellung im Oktober 1992 erfüllt bzw. übererfüllt und ich übergab meinen Abschlußbericht und meine Kündigung des Beratervertrages zum Jahresende. Ich schlug jedoch darin vor, die visuelle Lötstellenkontrolle (einer halben Million Lötstellen pro Schicht und Bedienperson), die eine Überforderung und praktisch unlösbare Aufgabe des menschlichen Auges ist , durch einen elektronenoptischen Lötstellen-Kontrollautomaten zu ersetzen.

1. Beispiel: Lötstellen der bestückten 5-fach-Nutzen-LP für Spannungsprüfer "Combicheck"

                    Vorderseite                                                    Rückseite

2.Beispiel: Lötstellen einer beidseitig bestückten 7-fach-Nutzen-Leiterplatte

Herr Steinel übertrug mir daraufhin auch diese Investitionsaufgabe. Im November und Dezember 1992 beschaffte ich Angebote von den japanischen und USA-Markt-führern. Diese waren jedoch nicht bereit, die erforderliche Anpassung an die hiesigen Produktionsverhältnisse vorzunehmen. Ich erfuhr, dass die Fa. GRUNDIG eine Eigenentwicklung in der Produktion einsetzte. Die Fa. war bereit, nach einem Probelauf der Steinel-Combicheck-Lp auf ihrer Anlage im März 1993 einen Entwicklungsauftrag für einen an die hiesigen Verhältnisse angepaßten AOI-Automaten zu übernehmen. Nach Genehmigung des von mir erarbeiteten Pflichtenhefts durch Herrn Steinel bzw. den Technischen Direktor Herrn Dr. Rittighausen wurde im Mai 1993 ein entsprechender Auftrag an die Fa. GRUNDIG erteilt.

Der Automat für die automatische optische Inspektion (AOI) wurde im September ausgeliefert und einschließlich der von Philips dazu gelieferten Handhabungstechnik zur Zuführung der LP aus Magazinen in Betrieb genommen. Nach 5 Wochen Probebetrieb wurde die Produktionstauglichkeit bestätigt, aber noch diverse Software-Verbesserungen vereinbart, wie z.B. die Prüfkamera-Wegeoptimierung "Flying Mode". Damit lag die Prüfgeschwindigkeit bei ca. 600 BE und 1500 Lötstellen pro Minute. So konnte mit einem AOI-Automaten der Produktionsausstoß aller 3 SMD-Bestückungslinien kontrolliert und nachgelötet werden.

Vom Automat wurden ca. 0,4 % aller Lötstellen als "Verdachtsfälle" angezeigt, die vom Reparateur kontrolliert, aber nur in jedem 10. Fall (0,04 % aller Lötstellen = 40 ppm) nachgelötet werden mussten. Dauerte die Nachlötzeit länger als die Prüfzeit der nächsten Leiterplatte, so wurde diese zwischengespeichert, so dass der Prozess wenig behindert wurde.

Auf diesem strahlungsarmen 19"-Monitor werden die von der Norm abweichenden, fehlerhaft positionierten BE oder fehlerhaften Lötstellen farbig hervorgehoben.

Und auf diesem 17"-Monitor auf einem seitlichen Tisch erfolgte von Oktober bis Dezember 1993 die Erarbeitung der Prüfprogramme für die produzierten Leiterplatten.

Ich führte bis April 1994 umfangreiche Analysen der Fehlererkennung durch und konnte nachweisen, dass die automatische Kontrolle der visuellen überlegen ist.

In dieser Zeit wurden an den Enden der 3 Bestückungslinien die Reparaturplätze durch Philips-Magazinlader ersetzt. In den Magazinen wurden die bestückten und gelöteten LP bis zur Zuführung in den AOI-Automaten zwischengelagert.

So konnte ich der Firmenleitung im Mai 1994 in meinem Abschlußbericht die erfolgreiche Durchführung der Gesamtinvestition melden und meinen Beratervertrag nach 3 1/2 jähriger Arbeit kündigen.

 

 

Anmerkung:

Ich hätte diese Schilderung (ausschließlich betrieblicher Interna, wie Weltstandsvergleich, Testergebnisse, Abschlußbericht usw.) nicht nachträglich in meine Homepage aufgenommen, wenn ich nicht durch einen ehemaligen, am Erfolg wesentlich beteiligten Mitarbeiter der SMD-Abteilung, Herrn Hellmuth, erfahren hätte, dass das Ganze heute eine längst vergessene Geschichte ist , die ganze Abteilung 2005 aufgelöst wurde und die Automaten ins Ausland verkauft wurden. 

 

 

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